Presse | ||||||||
Aus dem vom 15. Juni 2007
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Europa, gib mir meine Akzente wieder!Death Metal oder politischer Totenkult? Unterhaltungen ungarischer Auswanderer in Köln / Von Andreas Rosenfelder | ||
Auf dem Küchentisch liegt, gleich neben dem Diktiergerät, eine
unschuldige Broschüre. Freundlich, aber mit leicht vorwurfsvollem Unterton
fragt sie "Did You Know?" und verspricht "interessante Fakten"
über "berühmte ungarische Wissenschaftler und Erfinder".
Die kleine Runde in der Kölner Wohnküche blättert immer wieder
in dem unerschöpflichen Heftchen, pflückt daß-Satz um daß-Satz
heraus - und allmählich weicht das amüsierte Grundgefühl
einer schwer widerlegbaren Tragik. Kaum eine Technik oder Kunst, hinter
der kein ungarischer Urheber stünde. Ungarische Ingenieure meldeten
1893, sechs Monate vor dem deutschen Erfinder Maybach, ein Patent auf einen
Vergaser an - und blieben von der Automobilindustrie unbeachtet. Ein ungarischer
Physiklehrer entdeckte 1896, sechs Monate vor dem italienischen Elektrotechniker
Marconi, die kabellose Telegraphie - und setzte die Welt zu spät in
Kenntnis. Bei so viel Ignoranz des Weltgeists spenden drei nach ungarischen
Künstlern benannte Mondkrater nur schwachen Trost. |
und Fachjournalistin Cecilia Szabó, und die als Stipendiatin an die Universität zu Köln gekommene,
gleichfalls 1970 geborene Literatur-wissenschaftlerin Tünde Varga -
haben Verständnis für das anrührende Bändchen. Denn
die Einkassierung ihres Ideenhimmels gehört zu den Grunderlebnissen
der Ungarn. John von Neumann, Urvater des Computers, wuchs als János
Neumann in Budapest auf - wanderte aber wie Edward Teller, der als Ede Teller
in Budapest geborene Erfinder der Wasserstoffbombe, als amerikanischer Forscher
in die Lexika ein. "Sogar Bartók sollte Amerikaner werden",
erzählt Kristóf Szabó. Und selbst in der Begeisterung
der Deutschen für ungarische Literatur liegt eine Quelle für neue
Mißverständnisse: "Seit seinem Nobelpreis redet jeder von
Imre Kertész, aber keiner kann seinen Namen richtig schreiben!" |
Schriftsteller Sándor Márai, im Exil zur Minenarbeit gezwungen, "und von deinem Namen fällt der Akzent." Vielleicht naht
nun endlich Genugtuung' "Ich erwarte von der EU" - ein breites
Grinsen - "daß mir die Behörden meinen Akzent zurückgeben!" |
Bücherstand in GefahrEs fing vor 14 Jahren mit einer Bananenkiste voller Bücher an – heute 'gehört Tapeziertisch-Antiquar Kristof Szabó für viele Studenten zur Uni einfach dazu. Seit 1990 verkauft der 35-Jährige vor dem Philosophikum gebrauchte Bücher, die er aus Nachlässen zusammenkauft. Dieses Angebot wird es bald vielleicht nicht mehr geben - das fürchten zumindest der gebürtige Ungar und mit ihm etliche Studierende und Dozenten, die Unterschriften gesammelt und Protestbriefe verfasst haben. Der Hintergrund: Szabós Vertrag, der zum 1. April ausläuft, wurde bisher nicht verlängert. Glaubt man der Universität, ist die Unruhe verfrüht. "Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass der Stand vor dem Philosophikum stehen bleiben kann", sagt Marcel Potthast, der Leiter des Gebäudemanagements. Zurzeit werde überlegt, "ob diese kommerzielle Einrichtung noch ins Konzept passt". Der Albertus-Magnus Platz solle "stärker erschlossen und aufgepeppt" werden, und da könnte der Stand im Wege sein. (mad) |
Eine Ware, die ein Leben verändern kann |
"In Ungarn brät man Pflaumenkuchenteig in der Pfanne und
wendet ihn so lange wie einen Pfannkuchen, bis er gold-braun
ist. So schreibe ich auch meine Texte", bebildert Taibo Bati
seine Schreibtechnik. Der gebürtige Budapester wendet und
wirft seine Werke solange um, bis je eine deutsche und eine
ungarische Fassung stehen. Doch die meisten werden wohl noch
nie etwas von ihm gelesen haben, denn veröffentlicht hat der
33-Jährige selten. Trotzdem hat vielleicht der eine oder
andere Studierende schon mal ein Buch von ihm gekauft. Tag für
Tag steht Bati nämlich auf dem Campus der Universität mit
einem Tapeziertisch voller gebrauchter Literatur. |
Doch die Konsumhaltung seiner Kunden hat sich in den rund
10 Jahren geändert, sagt Bati: "Früher kamen die Leute und
suchten ein Buch, das ihr Leben verändert, heute suchen sie
das Buch, das ihnen gerade ihr Professor aufgeschrieben hat."
Diesen Mentalitätswandel erklärt er sich durch
gesellschaftliche Tendenzen: "Bücher befördern die Suche nach
dem Selbst, denn sie stellen Fragen und bewirken eine innere
Veränderung. Aber Seele ist heute ein Tabu."
Die Gesellschaft wolle keine Menschen mit einem starken
Selbst, "denn diese konsumieren nicht so viel, weil sie
wissen, was sie brauchen und was nicht", meint Bati.
Tabuisierte Aspekte des Lebens sind die Themen, mit denen sich
Taibo Bati, der seinen bürgerlichen Namen nicht preisgeben
möchte, künstlerisch auseinandersetzt. Visionäre Landschaften
entstehen in seinen Gedichten, Essays, Hör- und
Theaterspielen, die bis jetzt nur im Internet zugänglich
sind. |
Taibo Bati war das Pseudonym von Kristóf Szabó
Die Kritik in der freien Presse | ||||||
Rezension zum Atem-Poem: Der übrreifte Garten Bauch Liebster Atem von Christian Bauer, versa 5, frühjahr 05 (Köln)
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Rezension zum Atem-Poem: A szegezett árnyu madár, Balassi,
Budapest 2003 aus: Magyar Narancs, 27.11.2003 (Übersetzung: Kristóf Szabó) Klappentext des Bandes: <Karfüst, zwei intermediale Bühnenskripts>,
fisz, Budapest 2004 (Übersetzung: Kristóf Szabó)> "In den hier dem Publikum vorgestellten Theatertexten von Babó
Titti Kristóf gibt es nur Spuren, zwischen Kultur-Trümmer
führen diese den Leser (oft in die Irre). Einen Leser, der hinsichtlich
dieser intermedial genannten Werke in die Position des Zuschauers zu begeben
sich anschicken müsste, dem aber statt einer bei Mitwirkung diverser
Medien stattfindenden Bühneninszenierung die Erlebniswelt der Bilder
des Textes die Möglichkeit einer Betrachtung bietet. Durch die verschiedenen
(räumlichen, zeitlichen) Dimensionen der Sprache, ergibt sich irgend
eine auf eine Katastrophe folgende Fragmentiertheit, wo die Zitate keine
Zitate, sondern lediglich zerstreute Bruchstücke sind, wo die Bühnenfiguren
keine Masken tragen, weil ihre Selbst-Identität nur eine nie da gewesene
Reminiszenz ist, und wo die Äußerungen dieser Figuren und der
Regieanweisungen in einer so sehr zertrümmerten Sprache verlautbart
werden, dass der Leser-Zuschauer sie nicht als Mitteilung, sondern als
gegenständlich gewordene Spuren zu begreifen imstande ist. Der in
Deutschland lebende Autor handhabt sie nämlich ungewöhnlich
frei: die ungarische Sprache, die Rechtschreibung, bzw. die Gedächtnisstücke
der Tradition. Gleichzeitig von heute, aus der Vergangenheit, vulgär
und erfunden ist jene Sprechweise, welche die verschiedenen Elemente der
antiken Kultur, die biblischen und liturgischen Erinnerungsspuren, Lehrtraditionen
der Philosophie und Überlieferungen der Schulen der bildenden Kunst
für einen kurzen Augenblick aufscheinen lässt, um den an eine
Erwartbarkeit gewöhnten Blick des Lesers auch sofort aus der sicher
scheinenden Blickrichtung zu kippen. Als seien auch die Sprache selbst,
wie auch die Schichtungen der Bildung: Reste, nur ein Anschnitt des intermedialen
Raums. In der Gestalt des Prinzen können wir Hamlet erkennen, die
Erinnerungsspuren lyrischer Sprachgestaltung des Csongor és Tünde,
die ironischen Weiten des Märchenerzählens, die Bühnenpräsenz
von kommerziellen Produkten oder die Wirkungselemente der (Neo)Avantgarde
lassen die Risse bei der Vermittlung der Kultur sichtbar werden, als seien
sie auf der Oberfläche des Computerbildschirms aufscheinende Schichten.
Doch mit ihrem Sich-Einfinden kündigen sie nicht nur ihren Anspruch
auf die anhaltende Umwertung oder die Augenblicklichkeit an - bei permanenter
Widerholung ironischer Obertöne der Vergänglichkeit -, sondern,
- ihrer Ideale beraubt zwar, doch - sie folgen ihr beim Prozess ihres
Verfalls. Vielleicht deshalb, damit sich während des Verfallsprozesses
zeigen kann, was verfällt."
Das UnGLÜCK der Götter | ||||||